Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Darmstadt e.V.

Rede Dr. Ralf Köbler zum Pogromnachtgedenken 2020

Rede von Landgerichtspräsident Dr. Ralf Köbler zum Pogromnachtgedenken 2020 in der Darmstädter Synagoge. Eingeladen hatte ihn die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Darmstadt.

Verehrte Gedenkgemeinde,


Als junger Staatsanwalt war ich ab 1993 für vier Jahre in Darmstadt für die Verfolgung von Straftaten mit politischem Hintergrund verantwortlich. Das war meine erste Berührung mit antisemitischen Straftaten. Sie hatten keineswegs das Übergewicht in meinen Fällen, die Mehrzahl waren eher rechtsextremistische Taten im engeren Sinn.


In einem Fall des Antisemitismus hatte ich drei Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren anzuklagen, die an der Bergstraße auf einem Friedhof ein Mahnmal zur Judenverfolgung der Nationalsozialisten geschändet und umgestoßen hatten. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bensheim fragte ich die Jugendlichen: „Was sind denn eigentlich Juden?“ Nach längerem Überlegen sagte einer der Jugendlichen: „Ich glaube, das sind auch Menschen.“ Ich habe aus dieser völlig zutreffenden Antwort geschlossen, dass diese jungen Menschen keine Ahnung hatten, worum es eigentlich wirklich ging bei ihrer Tat, und ich habe eine, wie ich finde, durchaus strenge Strafe für die drei beantragt: Sie sollten das Buch
Kaiserhofstraße 12 von Valentin Senger lesen und einen Aufsatz darüber schreiben. Bei dem Buch geht es um das Überleben einer jüdischen Familie in Frankfurt in der Nazizeit. Die Strafe hat jedenfalls insoweit funktioniert, als mir tatsächlich diese Aufsätze vorgelegt worden. Was sie weiter bewirkt hat, ist mir natürlich nicht bekannt.


Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Ich glaube, bei der Verfolgung antisemitischer Straftaten ist wie eigentlich immer im Leben eine differenzierte Betrachtung angebracht. Es gibt diese Menschen, die auf der Grundlage gruppendynamischer Effekte als Mitläufer, sehen Sie mir diesen Begriff aus der Entnazifizierung nach, irgendetwas nachplappern und nicht substantiell wissen, worum es geht. Beim einem Teil dieser Menschen habe ich die Hoffnung, dass wir sie mit sozusagen intelligenten staatlichen Strafen erreichen und vielleicht aus ihren Gruppen ausgrenzen können.


Am anderen Ende des Spektrums stehen Täter wie der von Halle vor einem Jahr, die hochgerüstet mit brutalen scharfen Waffen als Attentäter unterwegs sind, unberechenbar und zum massenweisen Töten bereit. Viele dieser Täter sind, ohne dass ich damit eine Verniedlichung ausdrücken wollte, im Gegenteil, viele dieser Täter sind psychisch krank, was sich bei dem Täter von Halle im aktuell laufenden Verfahren ja nicht bestätigt hat, und extrem gefährlich. Bei ihnen liegt die Problematik nicht in der Strafverfolgung und gegebenenfalls langfristigen Unterbringung in forensischen psychiatrischen Kliniken durch die Gerichte, sondern
vor allem darin, ihre Gefährlichkeit im Vorfeld zu erkennen.

Nicht alle Synagogen haben Türen wie die in Halle. Einige dieser Täter dürften lange im Vorfeld ihrer schlimmen Taten im Internet durch die Veröffentlichung rechtsextremer, antisemitischer und rassistischer Pamphlete aufgetreten sein, und wir alle als Bürger und selbstverständlich auch alle Sicherheits- und Justizbehörden sind aufgerufen, diese Pamphlete, sofern wir damit in Berührung kommen, nicht als unerträgliche Wortgespinste abzutun, sondern diese Menschen den zuständigen
Ordnungs-, Betreuungs- und Strafverfolgungsbehörden zu melden, ohne eigene Furcht vor Repressalien durch diese Personen, was ja auch schon eine erhebliche Herausforderung darstellt. Mutige und aufmerksame Bürger können in diesem Bereich Schlimmeres verhindern.


Was bleibt zu sagen: Zwischen den extremen Polen des antisemitischen Spektrums findet sich eine Vielzahl von Straftaten, die im Bereich der Beleidigung und der üblen Nachrede, der so genannten Kennzeichendelikte, aber vor allem aber auch im Bereich des Tatbestandes der Volksverhetzung anzusiedeln sind.


Diese letztgenannte Vorschrift lautet wie folgt:
§ 130 Abs. 1 StGB:
Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

  1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
  2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.


Ich denke, es ist klar, dass die Verfolgung vieler antisemitischer Taten in der
Rechtspraxis rechtlich problematisch ist.


Das nächste Problemfeld sind die Internettaten, die Hate-Speeches, die zu einem gewissen Teil auch antisemitisch sein dürften. Hier stehen die Strafverfolger vor dem Problem, dass man sich überall mit echtem Namen, Aliasnamen oder auch falschen Namen ohne Identifikation anmelden kann, und eine Rückverfolgung über die Verbindungsdaten ist nicht möglich, weil die dafür erforderlichen Daten von den Providern gar nicht gespeichert werden dürfen.

Meine Damen und Herren, für die Vereinfachung der Strafverfolgung sind weder die Staatsanwaltschaften noch die Rechtsprechung, sondern der Gesetzgeber zuständig. Ich bleibe bei einer These, die ich schon Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts aktiv verfolgt habe: Die Justiz ist nicht blind auf dem rechten Auge. Aber die Gesetze machen es schwierig. Und wenn Sie mir diesen kleinen Gedanken noch gestatten: Vielleicht sind schwierige Gesetze für unser aller Freiheit so schlecht nicht – denn strengere Gesetze schränken nicht immer nur die Täter ein.


Vielen Dank